Der "Jakob Muth-Preis für inklusive Schule" wurde an die Heinrich-Zille-Grundschule in Berlin, die Montessori-Gesamtschule in Borken und die Waldschule in Flensburg verliehen. Für ihren vorbildlichen Unterricht von behinderten und nicht behinderten Kindern erhalten die drei Schulen ein Preisgeld von je 3.000 Euro. Projektträger sind der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Hubert Hüppe, die Deutsche UNESCO-Kommission und die Bertelsmann Stiftung.

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"Wer Inklusion will, sucht Wege, wer sie verhindern will, sucht Begründungen", sagte Hubert Hüppe, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, bei der Preisverleihung in Berlin. "Die diesjährigen Ge¬winner des Jakob Muth-Preises und viele weitere Bewerberschulen haben inklusive Wege gesucht. Sie sind gute Beispiele für andere Schulen, indem sie eindrucksvoll zeigen, wie eine Schule gestaltet werden kann, damit Kinder mit und ohne Behinderungen sie gemeinsam besuchen können. Ihnen allen meinen herzlichen Glückwunsch."

"Inklusive Bildung weltweit ist ein zentrales Anliegen der UNESCO. Inklusion muss als übergreifendes Prinzip sowohl die Bildungspolitik als auch die Bildungspraxis leiten", so Professor Christoph Wulf, Vizepräsident der Deutschen UNESCO-Kommission. Inklusion erfordere, dass sich das Bildungssystem flexibel an die Bedürfnisse aller Kinder anpassen könne. "Um Bildungsgerechtigkeit zu verwirklichen, muss unser Bildungssystem allen Kindern ermöglichen, in einem gemeinsamen Unterricht voll am schulischen Leben teilzuhaben. Dafür brauchen wir Vorbilder - wie unsere Preisträgerschulen - die zeigen, wie Inklusion lebendig gestaltet werden kann."

"Die Preisträgerschulen beweisen, dass Leistung und Gerechtigkeit im Bildungssystem keine Gegensätze sind", betonte Dr. Brigitte Mohn, Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung. "Inklusive Schulen können herausragende Leistungen im kognitiven, künstlerischen und sozialen Bereich hervorbringen. Daher müssen wir das Veränderungstempo in Deutschland deutlich erhöhen und beim gemeinsamen Lernen von behinderten und nicht behinderten Kindern international Anschluss finden."

Der Preis ist benannt nach einem Vorkämpfer und Wegbereiter des gemeinsamen Lernens von behinderten und nicht behinderten Kindern, dem Pädagogen Jakob Muth (*30. Juni 1927; + 24. Juni 1993). Mit der Auszeichnung wollen die Projektträger positive Beispiele für gemeinsamen Unterricht bekannt machen und zur Nachahmung anregen. Insgesamt hatten sich 113 Schulen aller Schulformen aus ganz Deutschland für den Jakob Muth-Preis beworben.

Weitere Informationen

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Individuelle Förderung an der Heinrich-Zille-Grundschule Berlin, Fotograf: Andreas Nowak, TRI-ERGON Film Die Berliner Heinrich-Zille-Grundschule liegt im Bezirk Kreuzberg und setzt sich seit 20 Jahren für Inklusion ein. In sechs Jahrgängen werden täglich 396 Kinder mit und ohne Förderbedarf gemeinsam unterrichtet. Hier treffen Kinder und Jugendliche unterschiedlicher Sprachen, Kulturen und Schichten zusammen; ein großer Teil der Schülerschaft kommt aus armen Familien, mehr als die Hälfte der Kinder hat einen Migrationshintergrund, 12 Prozent haben einen Förderbedarf. Angesichts dieser Herausforderungen ist die durchschnittliche Quote von über 40 Prozent Gymnasialempfehlungen der Schule herausragend. Durch veränderte Unterrichtskonzepte ist es der Schule gelungen, der Abwanderung bildungsnaher Familien entgegenzuwirken: der Akademikeranteil bei den Eltern beträgt 25 Prozent. Die Zufriedenheit der Eltern mit der Schule ist sehr ausgeprägt. weiter
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Auf dem Schulbauernhof der Montessori-Gesamtschule Borken lernen die Kinder spielerisch den Umgang mit Pflanzen und Tieren, Fotograf: Andreas Nowak, TRI-ERGON Film Die Montessori-Gesamtschule in privater Trägerschaft des Vereins Montessori Borken e.V. wird von 167 Kindern und Jugendlichen besucht. Über 20 Prozent davon haben sonderpädagogischen Förderbedarf. Die Schule arbeitet seit ihrer Gründung 1989 inklusiv, hier wurden von Anfang an behinderte und nicht behinderte Schülerinnen und Schüler in allen Klassen aufgenommen. Mehrfach ist die Schule bei den Leistungserhebungen in Nordrhein-Westfalen ausgezeichnet worden; sie gehörte zu den besten zwei Prozent vergleichbarer Gesamtschulen.
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An der Waldschule Flensburg werden die Kinder gezielt nach ihren Interessen, Neigungen und Begabungen gefördert. Fotograf: Andreas Nowak, TRI-ERGON Film Die Waldschule Flensburg hat sich innerhalb von fünf Jahren zu einer inklusiven Schule entwickelt. 250 Schülerinnen und Schüler, darunter 20 mit sonderpädagogischen Förderbedarf werden hier unterrichtet. Die Schule hat infolge ihrer herausragenden Arbeit den Titel "Zukunftsschule Schleswig-Holstein" in der Kategorie "Wir setzen Impulse" verliehen bekommen. Sie erzielt in den Vergleichsarbeiten des Landes bemerkenswerte Ergebnisse. Fast die Hälfte der Kinder wechselte im Schuljahr 2009/2010 nach der vierten Klasse auf das Gymnasium. Der Anteil der Schüler mit Lernschwierigkeiten und emotional-sozialem Förderbedarf ist in den letzten Jahren durch die Umgestaltung des Unterrichts stark gesunken - es wird als normal angesehen, dass Kinder verschieden sind und unterschiedliche Entwicklungsstadien durchlaufen. Die Schule ist offen für Innovationen und beteiligt sich an Projekten zur Unterrichtsentwicklung, wie z.B. dem "Sinus"-Projekt zur Weiterentwicklung des Mathematik- und HSU-Unterrichtes.
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Unter dem Motto "Gemeinsam lernen - mit und ohne Behinderung" zeichnete der "Jakob Muth-Preis für inklusive Schule" auch in diesem Jahr Schulen aus, in denen behinderte und nicht behinderte Kinder vorbildlich gemeinsam lernen.

Projektträger sind der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Hubert Hüppe, die Bertelsmann Stiftung und die Deutsche UNESCO-Kommission. Bewerben konnte sich bis zum 14. Mai jede Schule, die den Weg zur inklusiven Schule beschreitet - unabhängig von Schulform oder Trägerschaft. Die drei ersten Preise sind mit je 3.000 Euro dotiert und wurden im Oktober 2010 feierlich verliehen.

Mit dem bundesweiten Preis soll die Praxis von Schulen bekannter gemacht werden, die eine bessere Teilhabe ermöglichen - unabhängig von Herkunft, Beeinträchtigung oder sonstiger Benachteiligung. Namensgeber Jakob Muth (1927-93) hatte sich als Bochumer Professor schon früh für eine gemeinsame Erziehung behinderter und nicht behinderter Kinder eingesetzt.

Bis heute sieht die Praxis in Deutschland anders aus: Rund 85 Prozent der Kinder mit Behinderungen oder Lernschwierigkeiten in Deutschland werden in separaten Förderschulen unterrichtet. Diese erweisen sich häufig als Sackgasse für ihre weitere Entwicklung: Die Abgänger erhalten keinen qualifizierenden Schulabschluss, und eine gesellschaftliche Teilhabe wird ihnen wesentlich erschwert. Dass es anders geht, zeigen andere europäische Länder: In Italien, Norwegen und Schweden etwa gehen 95 Prozent aller beeinträchtigten Schüler in allgemeine Schulen. Auch in Deutschland kann das Konzept der inklusiven Schule gelingen: Dies zeigen die mutmachenden Beispiele der Schulen, die sich am Jakob Muth-Preis beteiligt haben.

Die Preisträger des Jahres 2009

Erika-Mann-Grundschule in Berlin-Wedding

In der Erika-Mann-Grundschule Berlin im Bezirk Wedding werden rund 600 Kinder aus 22 Nationen unterrichtet - unter ihnen acht Prozent mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Die Schule mit offenem Ganztagsangebot fördert ihre Schülerinnen und Schüler unter anderem durch eine jahrgangsgemischte Schulanfangsphase, individuelle Lernpläne für alle Kinder und verlässliche multiprofessionelle Lehrerteams. Eine indikatorgestützte Leistungsbeurteilung hilft den Eltern, "Bildungspartner" ihrer Kinder zu werden. Eine intensive Entwicklungsarbeit mit und im "Kiez" rundet den ganzheitlichen Ansatz ab. >> mehr

Integrierte Gesamtschule Linden in Hannover

Die Integrierte Gesamtschule Linden in Hannover unterrichtet behinderte und nicht behinderter Kinder seit 1996 in sogenannten "Integrationsklassen" gemeinsam. Knapp sieben Prozent der Schülerinnen und Schüler haben sonderpädagogischen Förderbedarf, insbesondere im Bereich "Lernen" und "Emotionale und soziale Entwicklung". Durch eine gute individuelle Förderung - die unter anderem durch Doppelbesetzung in zentralen Unterrichtsstunden erfolgt - schaffen auch Kinder mit Lernschwierigkeiten den Realschulabschluss. Als "Berufswahl- und Ausbildungsfreundliche Schule" konzentriert sich die IGS Linden erfolgreich darauf, die Chancen ihrer Absolventen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen. >> mehr

Sophie-Scholl-Schule in Gießen

An der Sophie-Scholl-Schule in Gießen werden zur Zeit 270 Schülerinnen und Schüler im rhythmisierten Ganztag unterrichtet. Die Grundschule wurde als Fortführung einer integrativen Kindertagesstätte von Eltern gegründet und wird von der "Lebenshilfe Gießen" getragen. Ein Viertel aller Kinder sind geistig oder körperlich behindert - in jeder altersgemischten Lerngruppe mit 22 Kindern gehören 5 Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf selbstverständlich dazu. Die Sophie-Scholl-Schule hat nicht nur ein sehr großes Einzugsgebiet und wesentliche höhere Nachfrage als sie Plätze vergeben kann. Zur Zeit beginnt auch der Ausbau zur integrierten Gesamtschule, damit das erfolgreiche Konzept des gemeinsamen Lernens aller Kinder auch bis zum Schulabschluss fortgeführt werden kann.  >> mehr

Integrierte Gesamtschule Linden, Hannover - Preisträger des Jakob Muth-Preises für inklusive Schule des Jahres 2009

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Klassenrat in der 9c an der IGS Linden Fotograf: Ulfert Engelkes

Die öffentliche Gesamtschule besuchen insgesamt rund 1.400 Schülerinnen und Schüler, davon 45 Prozent mit Migrationshintergrund und knapp sieben Prozent mit "sonderpädagogischem Förderbedarf". Seit 1996 gibt es an der Schule Integrationsklassen, in denen alle Kinder gemeinsam unterrichtet werden. Zurzeit sind es 12 Integrationsklassen, womit die Schule die größte Integrationsmaßnahme in Niedersachsen realisiert.

Um alle Kinder in heterogenen Klassen optimal zu fördern, arbeitet die Schule nach kompetenzorientierten Curricula und legt besonderen Wert darauf, die Fähigkeiten jedes Kindes zu kennen. Zu Beginn des 5. Schuljahres werden die Kinder in Neigungsklassen aufgenommen, wo ihre Kompetenzen in den Fächern Deutsch und Mathematik mit standardisierten Verfahren überprüft werden. Auf dieser Grundlage werden individuelle Förderpläne erstellt, die fortlaufend geführt werden. Ab Klasse 7 werden einzelne Fächer in A- und B-Kurse differenziert und die Schüler können aus einem großen Angebot die Wahlpflichtkurse und AGs wählen. Dies ermöglicht es, die Eigenverantwortung und die individuellen Stärken der Kinder und Jugendlichen zu fördern. Die Selbstständigkeit der Schülerinnen und Schüler ist ein Ziel, das die Schule konsequent verfolgt. Dabei spielen die "Klassenräte" eine wichtige Rolle, in der die Kinder und Jugendlichen Verantwortung übernehmen. Mit dem 8. Schuljahr beginnt eine intensive Berufsvorbereitung. Den Einstieg bildet eine Betriebssimulation, es folgen Betriebspraktika, Veranstaltungen im Berufsinformationszentrum und Termine mit Berufsberatern, sowie kontinuierliche Begleitung für Schüler mit besonderem Förderbedarf. Hierzu arbeitet die Schule intensiv mit der Agentur für Arbeit zusammen. Regelmäßige Kooperationen mit außerschulischen Partnern finden auch im Kontext der zahlreichen Arbeitsgemeinschaften und Projektwochen statt.

Die außergewöhnlichen Leistungen der Schule dokumentieren mehrere Auszeichnungen. So gilt die Schule z.B. seit 2003 als "Berufswahl- und Ausbildungsfreundliche Schule in der Region". Zudem erhält sie seit 2001 die Gütesiegel "Umweltschule in Europa" und "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage". Die Schule ist mit ihrem konsequenten Ansatz individueller Förderung auch bei den Eltern leistungsstärkerer Schülerinnen und Schüler sehr beliebt: Viele melden ihre Kinder mit Realschul- oder Gymnasialempfehlungen bewusst für die Integrationsklassen der Gesamtschule an. Die Zusammenarbeit mit den Eltern ist in der IGS zentral. Eltern beteiligen sich aktiv am Schulleben, sie bieten eigene Arbeitsgemeinschaften an, sind als Experten zu bestimmten Themen im Unterricht oder bei Projektwochen gefragt oder sorgen mit für die Verpflegung der Schülerinnen und Schüler, z.B. in der "Naturkostbar". Für Eltern mit Migrationshintergrund werden die Elternabende nach Möglichkeit in ihrer Muttersprache angeboten. Die Schule setzt herausragende künstlerische und musische Akzente. Es gibt z.B. in Zusammenarbeit mit dem Zirkuspädagogischen Zentrum einen Schulzirkus, der gerade für lernschwache Kinder und Jugendliche ein wichtiges Element in der Berufs- und Lebensorientierung sein kann. Große mediale Resonanz fand die Aufführung der Rap-Oper "Culture Clash" im Schuljahr 2007/08, an der eine Integrationsklasse der Schule gemeinsam mit dem Opernhaus, anderen Schulen und Jugendzentren beteiligt war.

Kontakt: Schulleiter Christoph Walther, IGS Linden, Integrierte Gesamtschule Linden, 30449 Hannover, igs-linden@hannover-stadt.de; http://www.igs-linden.de/