Der Schulkonsens konnte in anderen Bundesländern deshalb verabredet worden, weil es neben dem allseits anerkannten Gymnasium nur eine gleichwertige Alternative geben kann: die Gemeinschafts- oder Stadtteilschule.

In den anderen Bundesländern können sich Eltern entscheiden

- zwischen einem Weg zum Abitur nach 13 Jahren oder einem Weg nach 12 Jahren.

- zwischen möglichst langem gemeinsamen Lernen mit einem vollständigen gymnasialen Angebot vor Ort oder dem schnelleren Lernen in Gymnasien

Rede

der stellvertretenden Vorsitzenden
und schulpolitischen Sprecherin
der SPD-Landtagsfraktion


Frauke Heiligenstadt

Zum TOP 7: Abschließende Beratung:

a) Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Schulstruktur in Niedersachsen
Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU und der FDP - Drs. 16/3155
b) Keine halben Sachen - Voraussetzungen für ein wohnort-nahes, regional angepasstes und stabiles Bildungsangebot schaffen
Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 16/2278
c) Schullandschaft neu gestalten - Vorfahrt für den Elternwillen
Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/2766
d) Chance auf tragfähigen Schulkonsens nutzen! Landesregierung muss nachbessern!
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/2978
Beschlussempfehlung des Kultusausschusses – Drs. 16/3405

während der Plenarsitzung vom 15.03.2011
im Niedersächsischen Landtag

Es gilt das gesprochene Wort

Anrede
Heute wird hier mit der Mehrheit dieses Hauses ein Schulgesetz beschlossen, das von niemand, nicht einmal großen Teilen der CDU, für richtig gehalten wird. Dieses Gesetz hat mehr Enttäuschung als Zustimmung produziert.

Oder wie es der Niedersächsische Städtetag gestern bewertete:
"Ein ortsnahes gymnasiales Angebot in der Fläche wird auf diese Weise unwahrscheinlich; damit wird die Zukunft der kleinen ländlichen Zentren nicht gesichert", so Klingebiel.

Besonders ärgert ihn, dass es bei den Gesamtschulen zu keiner Erleichterung für die Schulträger gekommen sei:
„Wir erleben eine gesteigerte Nachfrage für Gesamtschulen; Schulen mit vier Paral-lelklassen könnten in vielen Schulzentren eingerichtet werden, um dem nachzukommen; für fünfzügige Schulen müssen wir anbauen, das kostet unnötig Geld".

Mutige Eltern und Schulträger sowie Kommunalpolitiker auch aus Ihren Reihen haben für eine bessere Schulpolitik Druck gemacht.

Doch anstatt sich einer zukunftsgerichteten und am Bedarf vor Ort ausgerichteten Bildungspolitik zuzuwenden wurde nur getüftelt, wie man möglichst der unbeliebten Schulform „Gesamtschule“ ein Alternativmodell vor die Nase setzen konnte.

Also wurde die Oberschule geboren.
Anfangs hatte sie noch eine Oberstufe, mindestens drei Züge bei gymnasialem Zweig und mindestens 52 bzw. 75 Schülerinnen und Schülern als Errichtungsvoraussetzung.
Sie sollte zusätzliche Schulsozialarbeit bekommen und zusätzliche Ganztagsausstattung.
Doch niemand ist begeistert über die neue Schulform.

Sie, Herr Ministerpräsident und Herr Kultusminister, haben entscheidende Fehler gemacht. Sie haben damit einen Schulkonsens unmöglich gemacht.

1. Sie haben eine neue Schulform mit dem ständigen Hin und Her und dem völligen Freigeben über die Ausgestaltung und die Mindestgröße gleich zu Beginn zerfasert. Und bei dem Hin und Her haben Sie Ihre eigenen Truppen nicht mitgenommen.

2. Sie haben das Versprechen, den Bildungsweg für Schülerinnen so lange wie möglich offen zu lassen, mit dem Streichen der Oberstufe gebrochen.

3. Sie haben die bildungspolitischen Akteure nicht ernst genommen und keine voraus-schauende Kommunikation gepflegt. Wir dagegen haben mit den Akteuren ständig kommuniziert. Wir wollen nicht ein angebotsorientiertes Schulsystem, sondern ein bedarfsorientiertes Schulsystem. Und das bedeutet eben, das zuzulassen, was vor Ort gewollt ist und eigene Strukturüberlegungen erst mal beiseite zu legen.

4. Und einen ebenso fataler Fehler: Sie haben selbst verkündet, dass die Oberschule keine Alternative zum Gymnasium ist. Sie haben die Oberschule immer nur als Alter-native zur Gesamtschule angeboten und der beliebten Gesamtschule ihre hohen Hürden zur Errichtung gelassen. Nur: Niemand wollte eine Alternative zur Gesamt-schule, aber viele wollten eine echte, gleichwertige Alternative zum Gymnasium.

Wie sieht es in den anderen Bundesländern aus?

Der Schulkonsens dort konnte deshalb verabredet worden, weil es neben dem allseits anerkannten Gymnasium eine gleichwertige Alternative geben kann: als Gemeinschafts-schule, als Stadtteilschule oder als Oberschule. Nur mit deutlichen Unterschied zur nie-dersächsischen Variante der Oberschule: in den anderen Bundesländern können sich Eltern entscheiden
- zwischen einem Weg zum Abitur nach 13 Jahren oder einem Weg nach 12 Jahren.
- zwischen möglichst langem gemeinsamen Lernen mit einem vollständigen gymnasia-len Angebot vor Ort oder dem schnelleren Lernen in Gymnasien.
Und beide Alternativen sind gleichwertig ausgestattet und niemand hat zu befürchten, dass es unterschiedliche Behandlungen von Schulformen gibt.

In diesen Bundesländern gibt es keine Verlierer bei den Schulformen.

Nur so ist ein Schulkonsens zu erreichen.

Ganz anders in Niedersachsen:
Die neue Oberschule darf im Gegensatz zu den Gesamtschulen zweizügig sein, sie darf Mindestzügigkeiten sogar unterschreiten, während die Gesamtschule fünfzügig sein muss ohne jede Ausnahme, übrigens auch ein Versprechen, dass Sie noch beim Bildungsge-spräch angekündigt hatten, aber nun nicht mehr einhalten.
Die neue Oberschule ist die ersetzende Schulform für andere Schulformen, während die Gesamtschule nur ergänzend angeboten werden darf, und die neue Oberschule wird gegenüber allen anderen Schulformen mit zusätzlichen Ressourcen ausgestattet. Eine bes-sere Ausstattung unserer Schulen finden wir gut und unterstützen wir, aber nicht zu Lasten der anderen Schulformen. Sie lassen die Schulen von der Grundschule bis zu den berufsbildenden Schulen ausbluten.

Die Demografierendite stecken Sie in die äußere Struktur von Schule anstatt sich um die Qualität zu kümmern.
Aber nicht mit uns.
Nein, meine Damen und Herren, man kann keinen Schulkonsens machen, wenn man Schulformen gegeneinander ausspielt.

Meine Fraktion hat Vorschläge gemacht, um dieses gegeneinander Ausspielen der Schulformen zu beenden.
Sie haben sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, zu begründen, warum sie unsere Vorschläge ablehnen. Genauso wenig haben Sie bis heute erklärt, warum Sie Gesamt-schulen schlechter behandeln als Oberschulen.
Trotz aller Unterschiede: Wir werden sogar einige Teile des Gesetzes mittragen, so z.B. die neuen Schulordnungsmaßnahmen oder die Regelungen zu den Bekenntnisschulen. Wir lehnen aber die Regelungen für die Bußgeldbewährung der Sprachförderung als nicht zielführend ab.
Sprachförderung muss in der Kindertagesstätte stattfinden, in kleinen Gruppen, ohne Stigmatisierung. Man kann keine Sprachenlernen mit Strafe erzwingen.

Warum werden dann trotzdem bald neue Oberschulen in Niedersachsen entstehen?
Die Oberschule ist in 80% der Fälle nichts anderes als eine zusammenfasste Haupt- und Realschule, die gibt es eigentlich schon.
Die Zusammenarbeit ist ja jetzt schon möglich.
Zu diesem neuen gesetzlichen Rahmen geben Sie ein paar Zuckerli, damit die Oberschu-le auch attraktiv wird. Das sind weniger Unterrichtsverpflichtung und mehr Beförderung-sämter und Zulagen für die Kollegien. Daher ist es niemanden zu verdenken, wenn Ober-schulen beantragt werden. Ich kann dazu nur sagen: Die Umwandelung von HRS in Oberschulen erfolgt. Sie löst nur nicht ein einziges Problem. Sie produziert neue Probleme, weil anderen Schulen z.B. die wichtige Ganztagsausstattung fehlen wird.

Jede Oberschule, die sich gründen wird, ist mit der Hoffnung verbunden , dass Schulstandorte erhalten bleiben können. Das schaffen aber schon die HRS heute nicht. Sie produzieren mit dieser Fehlsteuerung eher einen zusätzlichen Run auf die Gymnasien.

Der Gesetzentwurf wird damit auch nicht die tatsächlichen Probleme der Schulträger vor Ort lösen.
Er nimmt die berechtigten Wünsche auf Flexibilität in der Gestaltung der Schullandschaft nicht auf und er läuft den nachvollziehbaren Wünschen vieler Eltern auf Gesamtschulen in Niedersachsen zuwider.
Zum Eingeständnis des Scheiterns Ihrer jahrelang verfehlten Bildungspolitik hat es gereicht, zum großen Wurf für eine zukunftsgerechte, stabile, qualitätsvolle neue Schulstruk-tur hatten Sie nicht mehr die Kraft.

Wir dagegen haben die Kraft und die Vorstellung für gute Schulen in Niedersachsen.
Wir werden notwendige Veränderungen ab 2013 vornehmen.
Eltern sind es leid über Schulstrukturen zu diskutieren. Eltern wollen mehr Qualität an unseren Schulen.
Wir werden die gute Schule und damit die Qualität in den Mittelpunkt unserer Bildungspo-litik stellen. Unsere Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch. Das sind die Originale.
Wir wollen Schulsozialarbeit an allen Schulformen, echte Ganztagsschulen, kleinere Klas-sen und kleine Gesamtschulen.
Das ist gute Bildungspolitik.

Eins ist schon jetzt klar:
Die CDU in Stadt und Land war nie Bildungspartei und wird es auch nie werden! Mit die-sem Gesetzentwurf erst recht nicht.