SPD-Bildungsexpertin Frauke Heiligenstadt hat am Donnerstag in Hannover ein neues Großflächenplakat enthüllt. Es thematisiert die Schulmisere in Niedersachsen: Deutlich mehr Kinder müssen in Richtung „unten“ Ihre Schulen verlassen: vom Gymnasium auf die Realschule, von dort auf die Hauptschule. Dem stehen viel weniger Aufsteiger gegenüber.

Niedersachsen hat unter Schwarz-Gelb auch auf diesem Feld im Vergleich der Länder einen sehr schlechten Stand, wie gerade erst in den Medien thematisiert wurde. „Niedersachsen ist das Land der Schulabsteiger“ – so lautete eine der wenig erbaulichen Schlagzeilen.

Für die SPD gilt mit der künftigen Kultusministerin Heiligenstadt auch hier der Slogan: „Anpacken, besser machen!“

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Bertelsmann-Stiftung: Für Schüler geht's öfter runter als rauf

Auf einen Aufsteiger kommen zwei Absteiger/Große Abweichungen zwischen den Ländern/Struktur des Schulsystems nicht der entscheidende Faktor

Auf einen Schulaufsteiger kommen in Deutschland mehr als zwei Absteiger. Dies geht aus einer aktuellen Studie der Bertelsmann Stiftung zur Durchlässigkeit der Schulsysteme hervor. Demnach wurden im Schuljahr 2010/11 rund 50.000 Schüler zwischen Klasse fünf und Klasse zehn auf eine niedrigere Schulform herabgestuft. Das bedeutet, aus durchschnittlich jeder zweiten Realschul- und Gymnasialklasse wurde ein Schüler abgeschult. Lediglich rund 23.000 Schülern gelang ein Aufstieg.

Die Aufstiegschancen und der Anteil der Schulformwechsler unterscheiden sich für die einzelnen Bundesländer erheblich, jedoch lässt sich allein von der Struktur eines Schulsystems nicht eindeutig auf dessen Durchlässigkeit schließen, resümiert die Autorin der Studie, Professorin Gabriele Bellenberg, Bildungsforscherin an der Ruhr-Universität Bochum. Wechseln in Baden-Württemberg in der Sekundarstufe I – also zwischen der fünften und zehnten Klasse – nur jährlich 1,3 Prozent der Schüler die Schulform, sind es in Bremen 6,1 Prozent.

Die Häufigkeit von Schulformwechseln sagt noch nichts aus über das Verhältnis zwischen Auf- und Absteigern. Länder mit seltenen Schulformwechseln haben teils ein günstiges (Baden-Württemberg 1 zu 1,5), teils ein ungünstiges (Nordrhein-Westfalen 1 zu 5,6) Verhältnis zwischen Auf- und Absteigern. Ähnlich große Unterschiede zeigen sich unter den Ländern mit häufigen Schulformwechseln: In Bremen kommen auf einen Aufsteiger lediglich 2,4 Absteiger, während die Schulen in Berlin rechnerisch pro Aufsteiger sieben Schüler herabstufen. "Ein Schulsystem darf nicht nur nach unten durchlässig sein. Abschulungen sind häufig noch pädagogische Praxis, viel zu selten wird hingegen geprüft, ob ein Schüler einen Aufstieg schaffen kann", sagte Jörg Dräger, Bildungsexperte und Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung.

Das bundesweit ungünstigste Verhältnis zwischen Auf- und Absteigern weist das niedersächsische Schulsystem auf, wo auf einen Aufsteiger mehr als zehn Absteiger kommen. Mehr Auf- als Absteiger (1 zu 0,9) gibt es nur in einem einzigen Bundesland, in Bayern. Dort allerdings entsteht, wie die Studie zeigt, das vermeintliche Plus an Aufstiegschancen erst aufgrund des restriktiven Übergangs von der Grundschule auf die weiterführenden Schulen. Jeder zweite Schulaufsteiger in Bayern wechselt nach der fünften Klasse von Haupt- oder Realschule auf eine höhere Schulform, startet dort jedoch erneut in Klasse fünf. Diese Schüler bezahlen folglich den Schulaufstieg mit einer Klassenwiederholung.

Die Struktur der Schulsysteme beeinflusst zwar deren Durchlässigkeit, so die Studie, der Typus zweigliedrig oder mehrgliedrig allein ist jedoch nicht entscheidend für die Aufstiegschancen der Schüler. In den klassischen mehrgliedrigen Schulsystemen ist das Verhältnis zwischen Auf- und Abstieg dort besonders schlecht, wo nur noch rund jedes zehnte Kind nach der Grundschule die Hauptschule besucht. In den Hauptschulen dieser Länder sammeln sich im Verlauf der Sekundarstufe I zu großen Teilen Schüler, deren Schullaufbahnen durch Misserfolge geprägt sind. In Niedersachsen etwa ist jeder dritte Hauptschüler auf diese Schulform herabgestuft worden, in Nordrhein-Westfalen nahezu jeder vierte. Wesentlich besser ist das Verhältnis von Auf- und Abstiegen in den ebenfalls mehrgliedrigen Schulsystemen von Baden-Württemberg und Bayern, wo die Hauptschule nicht zur "Restschule" geworden ist.

Erstmals seit Beginn der derzeitigen Umbauphase in der Schullandschaft analysiert und vergleicht eine Studie alle 16 deutschen Schulsysteme. Zwar ist bundesweit ein klarer Trend zur Zweigliedrigkeit erkennbar, denn neben den fünf ostdeutschen Flächenländern haben sechs weitere Länder einen einschneidenden Wandel ihrer Schulstruktur hin zur Zweigliedrigkeit eingeleitet. Auch die fünf Bundesländer mit mehrgliedrigen Schulsystemen haben teilweise mit strukturellen Veränderungen begonnen. Dieser Trend zur Zweigliedrigkeit allerdings führt nicht zu mehr Übersichtlichkeit: Die Studie zählt allein für die Sekundarstufe I mittlerweile 22 verschiedene Schulformen – mit dem Gymnasium als einziger Schulform, die sich in jedem Bundesland findet.

Diese Vielfalt stelle die Bildungspolitik vor zwei wichtige Aufgaben, sagte Jörg Dräger. Erstens müsse die Forschung die Reformen und ihre Auswirkungen in den Ländern intensiver untersu-chen, die Ergebnisse öffentlich machen und bundesweit vergleichen. Zweitens müsse, weil die Schulstruktur nicht der entscheidende Faktor für mehr Chancengerechtigkeit ist, umso mehr Wert auf individuelle Förderung gelegt werden. Dazu sei es notwendig, dass Schulen ihren Unterricht am pädagogischen Prinzip der individuellen Förderung ausrichten und Lehrer in Aus- und Fortbildung die Kompetenz dafür erwerben. "Auf Abschulungen und Klassenwiederholungen kann man dann weitgehend verzichten", sagte Dräger

Länderbericht Niedersachsen: Der Fahrstuhl geht fast immer nach unten: Auf einen Schulaufsteiger kommen in Niedersachsen zehn Absteiger

Der Fahrstuhl geht fast immer nach unten: Auf einen Schulaufsteiger kommen in
Niedersachsen zehn Absteiger

Studie der Bertelsmann Stiftung: Ungünstigstes Verhältnis aller Bundesländer / Aus durchschnittlich vier von fünf Gymnasialklassen wird ein Schüler abgeschult

Gütersloh, 30. Oktober 2012
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In keinem anderen Bundesland ist das Verhältnis zwischen Schul-aufstiegen und -abstiegen so ungünstig wie in Niedersachsen. Zwischen Klasse fünf und Klasse zehn kommen auf einen Schulaufsteiger zehn Absteiger. Im Schuljahr 2010/11 wurden allein 4.825 Schüler von niedersächsischen Gymnasien auf eine niedrigere Schulform herabgestuft. Das be-deutet: In jedem Jahr wird aus durchschnittlich vier von fünf Gymnasialklassen ein Schüler abgeschult. Dies geht aus einer aktuellen Studie der Bertelsmann Stiftung zur Durchlässigkeit der Schulsysteme hervor.

Insgesamt haben im Schuljahr 2010/11 knapp 12.300 Schüler in Niedersachsen in der Sekundar-stufe I die Schulform gewechselt. Das sind 2,6 Prozent aller Schüler zwischen der fünften und der zehnten Klasse und damit anteilig mehr als im Bundesdurchschnitt (2,2 Prozent). Für die meisten dieser Schulformwechsler ging der Fahrstuhl nach unten. Auf eine niedrigere Schulform herabge-stuft wurden insgesamt 9.713 Schüler. Etwa die Hälfte von ihnen (4.804) verließ das Gymnasium in Richtung Realschule, 21 Schüler nahmen den direkten Weg vom Gymnasium auf eine Haupt-schule. 4.888 Schüler wechselten von einer Real- auf eine Hauptschule.

Ein Aufstieg hingegen gelang in Niedersachsen lediglich 973 Schülern. 521 von ihnen schafften den Sprung von der Haupt- auf die Realschule, 445 von der Realschule aufs Gymnasium, nur sie-ben stiegen direkt von der Hauptschule aufs Gymnasium auf. „Ein Schulsystem darf nicht nur nach unten durchlässig sein. Abschulungen sind häufig noch pädagogische Praxis, viel zu selten wird hingegen geprüft, ob ein Schüler einen Aufstieg schaffen kann“, sagte Jörg Dräger, Bildungsexper-te und Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung.

Geringe Aufstiegschancen innerhalb der Sekundarstufe I sind laut der Studie typisch für mehrglied-rige Schulsysteme, in denen nur noch rund jedes zehnte Kind nach der Grundschule die Haupt-schule besucht. Auch Hessen (1 zu 8,7) und Nordrhein-Westfalen (1 zu 5,6) haben ein vergleichs-weise ungünstiges Verhältnis zwischen Auf- und Abstiegen, aber noch leicht besser als Nieder-sachsen (1 zu 10). Für die Hauptschulen, für die sich in Niedersachsen nur noch elf Prozent der Schüler nach der Grundschule entscheiden, verfestigt sich durch die Schulabstiege das Bild einer Restschule. Denn jeder dritte Hauptschüler kommt erst im Laufe der Sekundarstufe I auf diese Schulform, in der Regel nach einer Erfahrung schulischen Misserfolgs.

Trotzdem kommt die Studie, die Professorin Gabriele Bellenberg, Bildungsforscherin an der Ruhr-Universität Bochum, im Auftrag der Bertelsmann Stiftung erstellt hat, zu dem Schluss, dass die Schulstruktur nicht der allein entscheidende Faktor für mehr Chancengerechtigkeit ist. Die Struktur der Schulsysteme beeinflusst zwar deren Durchlässigkeit, so die Studie, der Typus zweigliedrig oder mehrgliedrig allein ist jedoch nicht entscheidend für die Aufstiegschancen der Schüler. Umso wichtiger sei es, sagte Jörg Dräger, dass sich Unterricht am pädagogischen Prinzip der individuel-len Förderung ausrichtet und Lehrer in Aus- und Fortbildung die Kompetenz dafür erwerben: „Auf Abschulungen und Klassenwiederholungen kann man dann weitgehend verzichten“, so Dräger.

Bundesweit befindet sich die Schullandschaft derzeit in einer Umbauphase. Die Studie, die alle 16 deutschen Schulsysteme analysiert und vergleicht, belegt einen klaren Trend zur Zweigliedrigkeit. Neben den fünf ostdeutschen Flächenländern haben sechs weitere Länder einen einschneidenden Wandel ihrer Schulstruktur hin zu einem zweigliedrigen Schulsystem eingeleitet. Auch die fünf Bundesländer mit mehrgliedrigen Schulsystemen (Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Nieder-sachsen und NRW) haben teilweise mit strukturellen Veränderungen begonnen. Diese Reformen führen allerdings bundesweit nicht zu mehr Übersichtlichkeit: Die Studie zählt allein für die Sekun-darstufe I mittlerweile 22 verschiedene Schulformen – mit dem Gymnasium als einziger Schulform, die sich in jedem Bundesland findet.