Es war stets das Ziel sozialdemokratischer Bildungspolitik, flächendeckend so viel Integration von Kindern mit Behinderungen wie möglich zu erreichen. Dazu zählen Projekte und Konzepte wie „Lernen unter einem Dach“ und die Regionalen Integrationskonzepte (RIK), die Kinder mit Behinderungen integrativ beschulen. Dennoch konnte in der Vergangenheit dem Wunsch vieler Eltern, ihre Kinder mit Behinderungen inklusiv und wohnortnah in allgemeinen Schulen zu fördern, nur zu selten entsprochen werden.

„Meine Damen und Herren, jahrelang galt es in der Bundesrepublik Deutschland als richtig, Kinder mit Behinderungen in Förderschulen getrennt von übrigen Kindern und Jugendlichen zu unterrichten. Das hat in der schulischen Praxis zu einem komplexen Schulsystem geführt, in dem Kinder und Jugendliche an spezifischen Förderschulen mit spezifischen Förderschwerpunkten und mit spezifisch ausgebildeten Lehrkräften unterrichtet wurden und werden. Es gibt Förderklassen, die an Grund- und Hauptschulen angegliedert sind, und es gibt eigenständige Förderschulen mit den Förderschwerpunkten „Lernen“, „Sprache“, „Sehen“, „Hören“, „körperliche und motorische Entwicklung“, „geistige Entwicklung“ sowie „emotionale und soziale Entwicklung“.

Es war stets das Ziel sozialdemokratischer Bildungspolitik, flächendeckend so viel Integration von Kindern mit Behinderungen wie möglich zu erreichen. Dazu zählen Projekte und Konzepte wie „Lernen unter einem Dach“ und die Regionalen Integrationskonzepte (RIK), die Kinder mit Behinderungen integrativ beschulen. Dennoch konnte in der Vergangenheit dem Wunsch vieler Eltern, ihre Kinder mit Behinderungen inklusiv und wohnortnah in allgemeinen Schulen zu fördern, nur zu selten entsprochen werden.

Im März 2009 hat die Bundesrepublik die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ratifiziert. Damit wurde die Rechtsgrundlage geschaffen, diese unwürdige Situation ändern. Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen haben nun das Recht auf einen Platz in der allgemeinen Schule - so wie jedes andere Kind auch. Die UN-Behindertenrechtskonvention fußt auf demselben Grundgedanken, der etwa die niedersächsische Landesregierung im Jahr 1993 dazu brachte, im Paragrafen vier des Niedersächsischen Schulgesetzes (NSchG) die Möglichkeit der Integration in der Schule einzuführen. Die Integration war aber unter einem sächlichen und räumlichen Ressourcenvorbehalt gestellt worden. Die Vereinten Nationen sind bei der Formulierung der Behindertenrechtskonvention 13 Jahre später einen wichtigen Schritt weiter gegangen: Inklusion ist ein Menschenrecht.

Das Land Niedersachsen muss die UN-Behindertenrechtskonvention und damit den Rechtsanspruch auf inklusive Bildung landesgesetzlich umsetzen. Die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen von CDU und FDP haben sich mit der Umsetzung sehr viel Zeit gelassen. Das haben wir in den vergangenen Jahren immer wieder kritisiert. Sie werden sich bestimmt erinnern.

Inklusion geht sehr viel weiter und ist mehr als Integration. Inklusion bedeutet auch, die innere Haltung neu zu justieren. An die Stelle der Frage, in welche Schublade Kinder und Jugendliche mit Behinderungen gesteckt werden sollten, soll nun eine Kultur des Behaltens, des Willkommenseins treten. Die Behindertenrechtskonvention fordert die Verantwortung der Schulen für einmal aufgenommene Kinder ein. Das ist die Grundlage zur Entwicklung eines inklusiven Bildungswesens.

Meine Damen und Herren, die SPD-Landtagsfraktion hat bereits im August 2010 einen „Gesetzentwurf zur Herstellung des Rechtsanspruchs auf inklusive Beschulung“ (Drucksache 16/2702), in den Niedersächsischen Landtag eingebracht, der den Schwerpunkt auf die Umsetzung des Rechtsanspruches der Eltern als Motor auf dem Weg zur inklusiven Bildung gelegt hat. Eltern sollen entscheiden, auf welche Schule ihr Kind gehen soll. Wir haben seinerzeit bewusst darauf verzichtet, über die Auflösung oder Abschaffung von Förderschulen zu reden.

Mehr als ein Jahr später, im Oktober 2011, legten die Koalitionsfraktionen von CDU und FDP einen Gesetzentwurf zur Einführung der inklusiven Schule in Niedersachsen vor (Drucksache 16/4137). In den Wochen und Monaten danach hat es intensive Verhandlungen zwischen den Fraktionen gegeben. Wir sind damit auch dem Wunsch und den Bitten nahezu aller Verbände sowie des Landeselternrates nach einer gemeinsamen Verabschiedung eines „Inklusionsgesetzes“ gefolgt. Die Umsetzung des Menschenrechts auf Inklusion muss nach unserer Überzeugung überparteilich umgesetzt werden. Das sind wir den betroffenen Kindern und Jugendlichen und deren Eltern schuldig. Deshalb werden wir in der morgigen Sitzung des Kultusausschusses des Landtages dem veränderten Gesetzentwurf zustimmen.

Meine Damen und Herren, ich will nicht verhehlen, dass die Verhandlungen schwierig waren. Im Gegensatz zum Gesetzentwurf der SPD Fraktion sah der Koalitionsvorschlag nämlich nur einen eingeschränkten Anspruch auf freie Schulwahl der Eltern für ihre Kinder vor. Im CDU/FDP-Entwurf war ein Passus enthalten, der es relativ einfach ermöglicht hätte, die Wahlentscheidung der Eltern zu unterlaufen. Nach diesem Vorschlag hätte ein Kind gegen den Elternwillen ohne größere Probleme an eine andere Schule überwiesen werden können. Diese Regelung hätten wir nie mitgetragen. Es darf kein Elternrecht erster und zweiter Klasse geben.

CDU und FDP wollten eine Abschulung des Kindes bereits von den schulischen Leistungen abhängig machen. Wir wollten das nicht. Da die Koalitionsfraktionen auf einer Abschulungsregelung als Ultima Ratio bestanden, war ein Kompromiss notwendig. In der Neufassung des Paragrafen 59 des Schulgesetzes wird nun festgelegt werden, dass es die Möglichkeit einer Abschulung geben wird, allerdings sind die Hürden sehr, sehr hoch. Als Voraussetzungen gelten danach zukünftig nur noch die Kindeswohlgefährdung oder die Gefährdung der Mitschülerinnen und Mitschüler. Wir halten diese Regelung für einen tragfähigen Kompromiss, zumal wir den Streit um den Paragrafen 59 des Schulgesetzes nicht zum Anlass nehmen wollten, die Inklusion daran scheitern zu lassen.

Eines ist aber klar: Sollte der Paragraf 59 des Schulgesetzes zukünftig dazu benutzt werden, um mit konstruierten Begründungen gezielt Schülerinnen oder Schüler mit Behinderungen an andere Schulen zu überweisen, wird das Gesetz nach dem Regierungswechsel nachgebessert werden müssen. Dieses werden wir allerdings im Sinne der Planungssicherheit für den Prozess der Inklusion nur in Absprache mit den schulischen Akteuren vornehmen.

Meine Damen und Herren, ein intensiver teils mühsamer parlamentarischer Beratungszeitraum liegt hinter uns. Aber das war es uns wert, denn wir haben einen Paradigmenwechsel in der Schulpolitik erreicht. Das sind die konkreten Ergebnisse:

  • Kern des Gesetzentwurfes ist der Rechtsanspruch der Eltern, für ihr Kind eine Schulform zu wählen. Das Gesetz formuliert das Ziel, dass die Schulen in Niedersachsen grundsätzlich inklusive Schulen sind, die allen Kindern mit und ohne Behinderung einen barrierefreien und gleichberechtigten Zugang gewährleisten.
  • Maßnahmen zur Umsetzung der Inklusion werden aufsteigend ab dem Schuljahr 2012/2013 in dem Schuljahr 1 und ab dem Schuljahrgang 2013/2014 im Schuljahr 5 der allgemeinen Schule eingeführt.
  • Es können weiterhin Förderschulen mit den jeweiligen Förderschwerpunkten geführt werden. Der Grundschulbereich im Förderpunkt „Lernen“, „Sprache“ und „emotionale und soziale Entwicklung“ soll schrittweise aufgehoben werden.
  • Inklusive Bildungsangebote werden in allen Schulen in einem längerfristigen Prozess eingerichtet. Deswegen können die Schulträger sogenannte Schwerpunktschulen bestimmen, damit Schülerinnen und Schüler wenigstens eine inklusive allgemeine Schule in zumutbarer Entfernung erreichen können. Diese muss nicht zwingend im Gebiet des Schulträgers liegen. Schulträger können auch interkommunal zusammenarbeiten.
  • Das Gesetz hat eine Revisionsklausel, damit dessen Auswirkungen überprüft werden können. Die Überprüfung soll bis 2018 erfolgen.

Meine Damen und Herren, mit diesem gemeinsamen Gesetzentwurf kommt die Inklusion im Land Niedersachsen einen Schritt voran, aber die große Herausforderung der Umsetzung müssen wir alle noch meistern. Das Fachwissen und die Erfahrungen aller Akteure sind unverzichtbar. Es geht um gemeinsame Unterrichtsentwicklung, die das einzelne Kind in den Mittelpunkt stellt. Das Recht jeder Familie, das Leben ihrer Kinder eigenverantwortlich zu gestalten, ist zu respektieren und zu unterstützen. Bei der Wahl einer Schule spielen viele, zum Teil sehr persönliche Gründe eine Rolle. Der Inklusionsprozess muss sorgsam, stringent und nachhaltig erfolgen. Deswegen haben wir uns auch für einen Umstrukturierungsprozess entscheiden, der schrittweise vollzogen wird.

Wir wissen: Den einen geht es zu langsam und den anderen zu schnell. Wir gehen den goldenen Mittelweg mit Herz und Verstand. Dennoch: Es wird ein schwieriger Weg, der von allen Akteuren Engagement und Bereitschaft erfordert, Neues auszuprobieren und sich auf Herausforderungen offen einzulassen.

Deswegen ist es absolut erforderlich, einen Aktionsplan und ein Konzept zur Deckung des Ressourcenbedarfs vorzulegen: Die Eckpunkte dafür haben wir in unserem Entschließungsantrag zur Inklusion niedergelegt. Dieser Entschließungsantrag ist unsere Leitplanke für den Weg der Inklusion. Nicht alle Forderungen aus der Entschließung konnten umgesetzt werden. Allerdings doch so viel, dass wir den Gesetzentwurf mittragen wollen. Wir sind zur Übernahme von Verantwortung bereit.

Meine Damen und Herren, mit dem zwischen CDU, FDP sowie SPD ausgehandelten Verhandlungsergebnis gibt es nun die Möglichkeit, dem Menschenrecht auf Inklusion in Niedersachsen die Tore zu öffnen. Aber, bis jetzt haben wir nur die Hand an der Klinke. Es wird noch sehr viel zu tun sein. Wir wollten mit diesem Schritt aber nicht bis nach dem Regierungswechsel warten, sondern schon jetzt unsere Handlungsfähigkeit und Verantwortungsbereitschaft zeigen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.“

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